Die Weisheit des Sockenstrickens
- 14. Februar 2018
Wie strickt man Socken? Zwar kann ich stricken, doch bis zur hohen Kunst des Sockenstrickens hatte ich es noch nicht geschafft. Um so begeisterter war ich, als mir meine Freundin erzählte, dass ihre Mutter (85 Jahre alt) sich fast jeden Tag mit dem Sockenstricken beschäftigt. Schon bald brachte sie mir ein Paar mit, das ich, oh Glück, auch behalten durfte. Bis dahin fand ich diese selbstgestrickten Dinger eher nicht so schick, doch schnell merkte ich, dass warme Füße sehr angenehm sind. Die Idee, das Sockenstricken zu erlernen, war geboren.
So kam es, dass ich vor kurzem in der guten Stube der 85-jährigen Dame saß. "Ja, Angela, da pass mal auf, das geht so", legte sie los und erklärte mir das Wunder des Fersenkäppchens. Während ich ihre Anweisungen in Maschen umsetzte, kamen wir ins Gespräch. Ein fast winterlicher Nachmittag, die Dämmerung brach herein, und Maria begann aus ihrer Kindheit zu erzählen. Ein wenig schummrig war das Licht und ich hatte Mühe, die Maschen zu erkennen. Sie erzählte vom Krieg und davon, dass die Brüder dringend Socken brauchten. Von der Schafswolle, die, selbst geschoren und gesponnen, kratzig war. Von den Fersen, welche die Brüder so schnell durchgelaufen hatten, dass sie immer wieder neue Sockenpaare stricken musste. Selbst wenn sie zum Spielen ging, musste sie das Strickzeug mitnehmen. Was bei mir heute winterliche Freizeitbeschäftigung ist, war damals ganzjährige Aufgabe eines 12-jährigen Kindes...
Ich sprach nicht viel, während ich Maria zuhörte. Der Moment hatte etwas Magisches, was ich kaum mit Worten beschreiben kann. Ich fühlte mich plötzlich wie in der Serie "Die Waltons", bei der die Großfamilie abends im kleinen Wohnzimmer sitzt, Vater raucht Pfeife, Opa liest Zeitung, die Mutter näht oder stickt, die Kinder sitzen auf dem Boden und die Großmutter erzählt aus ihrer Zeit.
Die Älteren geben ihr Wissen, ihre Weisheit, ihre Lebenserfahrung an die Jüngeren weiter. Dieser Moment hatte etwas Heimeliges, Richtiges, ja fast Archaisches. Ich fühlte mich als Teil einer (guten) Ordnung. Faszinierend für mich, weil ich das aus meiner eigenen Kindheit nicht kenne.
Die Älteren für ihr Schicksal zu ehren, anzuerkennen, dass unser Leben nur durch sie möglich ist, hat etwas unglaublich Tiefes und zugleich Befreiendes. In diesem Moment spielte es für mich keine Rolle, dass ich mit Maria nicht verwandt bin. Was ich fühlte, war der Fluss des Lebens, der von Generation zu Generation fließt. Und Dankbarkeit, dies mal eben an einem Freitagnachmittag spüren zu dürfen. Beim Sockenstricken. ;-) Das ist das pralle Leben! :-)